Paul Eichmann

Ein Glücksfall für Marl

Amtsbürgermeister von 1945 bis 1946

* 4. Dezember 1898 in Gelsenkirchen
† 9. Januar 1978 in Haltern

1922 bis 1927 Lehre bei Rudolf Boldes, Hülsstaße 12, dann Geschäftsführer bei Möbelhaus Reinhardt, Hülsstr.10
4. Dezember 1926 Heirat mit Marta Rosenthal
Ende 1939 bis 1940 Dienst in Kriegsgefangenenstammlager der Wehrmacht; Entlassung wegen jüdischer Ehefrau
1941 bis 1942 Luftschutzpolizei
1. bis 22. April 1945 Oberbürgermeister, dann bis 24. April 1946 Amtsbürgermeister von Marl
nach 1945 u. a. Vorsitzender des Fußballverbands Nordrhein-Westfalen, mehrfach zweiter Vorsitzender des FC Schalke 04
1947 Mitbegründer der Marler Möbelfabrik

In der schweren Nachkriegszeit war es Paul Eichmann, dem die Menschen in Marl einiges zu verdanken hatten. Seine jüdische Ehefrau Marta – häufig Martha geschrieben – war am 21.9.1944 verhaftet worden. Sie überlebte als Zwangsarbeiterin im Frauenlager Elben bei Fritzlar. Tochter Ruth, zu ihrem eigenen Schutz 1934 katholisch getauft, wurde Internatsschülerin bei den Dorstener Ursulinen. Später trat sie dem Orden bei, wurde als Schwester Johanna dort Schulleiterin und Mitbegründerin des Dorstener Jüdischen Museums.

Auch aufgrund seiner Verbindung zu Juden ernannte die amerikanische Besatzungsbehörde Eichmann bei Kriegsende zum „Oberbürgermeister“. In Marl war der Zweite Weltkrieg bereits an Karsamstag, 31. März 1945 zu Ende. 1936 war Marl zur Stadt geworden, einen Oberbürgermeister gab es hier jedoch nie. Daher führte er dann vom 23. April 1945 bis zu den ersten Wahlen im September 1946 den korrekten Titel des Amtsbürgermeisters. Als Stadtkämmerer wurde damals auf seinen Wunsch hin Dr. Friedrich Willeke eingesetzt, ehemaliges NSDAP-Mitglied und Amtsbürgermeister in der NS-Zeit.

Zwar hatte Paul Eichmann keine Erfahrung in Bezug auf Verwaltung, doch für die Marler war es ein Glücksfall, in der schweren Nachkriegszeit einen Kaufmann mit vielfältigen Beziehungen, einen leidenschaftlichen Organisator als Bürgermeister zu haben. Lebensmittel, Decken, Unterkünfte – er kümmerte sich um alles. So war Marl wohl eine der am besten versorgten Städte im Kreis. Die Eichmanns wohnten in der Vikariestraße 24, einer Villa gegenüber vom Amtshaus.

Auch Fußballbegeisterte profitierten vom Engagement ihres Bürgermeisters: So konnten etwa 10.000 Zuschauer bereits am 26. August 1945 ein von ihm organisiertes Spiel im Stadion des Marler Volksparks sehen. Leider unterlag die Marler Stadtauswahl dem FC Schalke 04 mit 0:6.

Zur Bürgermeisterwahl 1946 trat Eichmann nicht an. Zeitlebens war er parteilos und wollte nun endlich selbstständiger Geschäftsmann sein, was aufgrund seiner Ehe mit Marta, einer Jüdin, während der NS-Zeit nicht möglich gewesen war. Er gründete 1947 mit Fritz Huep die Marler Möbelfabrik, in einer der Holzbaracken auf dem Gelände des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers im Gleisbogen. Dort wurden Kisten, Spinde und Betten für die englische Besatzungsarmee produziert.

Zu der Zeit wohnten die Eichmanns an der Bahnhofstraße 63 in Lenkerbeck in einem der Huep’schen Häuser am Silvertbach, erbaut mit dem Architekten Jupp Moog für die Mitarbeiter der Möbelfabrik. Von dort aus führte Eichmann nach dem Ausstieg aus der Möbelfabrik seine Geschäfte als Möbelvertreter und war häufig Gast in der Sinsener Gaststätte Ridder (heute Bacchos).

Der Grabstein Eichmanns und seiner Frau Marta befindet sich auf dem katholischen Friedhof St. Marien in Lenkerbeck. Das ausdruckstarke Relief gestaltete Tisa von der Schulenburg, bekannt als Schwester Paula der Dorstener Ursulinen. Erst im Juni 2021 beschloss der Marler Stadtrat, auch Paul Eichmann posthum ein Ehrengrab zuzusprechen, so wie den anderen Marler Bürgermeistern.                                                                                                                                               Irene Rasch-Erb

Quellenverzeichnis:

Online-Gedenkbuch der Stadt Recklinghausen: https://eservice2.gkd-re.de/selfdbinter320/DokumentServlet?dokumentenname=545-91fieldBiographie.pdf [Zugriff 01.06.2025]
Stadtverband und Fraktion Sozialdemokraten in Marl: Übernahme eines Ehrengrabes für Paul Eichmann, https://www.spd-marl.de/2022/01/28/uebernahme-eines-ehrengrabes-fuer-paul-eichmann/ [Zugriff 01.06.2025]
Brack, Ulrich / Mohr, Klaus (Hrsg.): Neubeginn und Wiederaufbau. Marl in der Nachkriegszeit 1945-1949, Essen 1994
Eichmann, Johanna: „Du nix Jude, Du blond, Du deutsch“. Erinnerungen 1926–1952, Essen 2011
Mohr, Klaus: Sowas passiert in Deutschland nicht. Jüdische Menschen in Marl, Essen 2012
Bekanntmachung für den Stadt- und Landkreis Recklinghausen vom 01.09.1945
VHS Marl: Gemeindevorsteher & Bürgermeister in Marl 1919 – heute, https://www.marl.de/fileadmin/dokumente/Lokalpolitik/marlerB-ue-rgermeister-v.pdf [Zugriff 01.06.2025]

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